Man muß die Feste feiern, wie sie fallen!

Einladung von 1992, Moritz Götze

"Man muß die Feste feiern, wie sie fallen!" So oder ähnlich könnte man die Situation in der halleschen Szene wohl beschreiben, denn außer den drei „Berühmten Studentenclubs“ mit ihren charmanten Einlaßmethoden war nicht viel zu holen in Halle an der Saale. Und so waren die spontan organisierten Partys in Privatwohnungen oder Hinterhöfen durchaus die Höhepunkte des Nachtlebens in der Saalestadt. Der gute Ruf mancher dieser Veranstaltungen war über die Grenzen unserer Stadt bekannt.

Mehrere Male im Jahr war der kleine Hinterhof in der Seebener Straße 5 DIE ADRESSE. Party im Objekt 5, das war was ganz Besonderes. Klaus Mitschke und Freunde organisierten unvergessene Nächte. Eine kleine wackelige Bretterbühne, eine improvisierte Hofüberdachung, Livemusik, Theater, Lesungen und Getränke ohne Ende. Ganz einfach! Die Leute kamen, feierten die Nächte durch, ja man fühlte sich sauwohl hier.

Nach ’89 ging ein gewaltiger Ruck durch Halles Kneipenszenerie. Einige der „Jungen Wilden“ machten den Wunsch nach einem Platz, an dem man unter sich sein konnte, zur Profession.

1992

Unvergessen die Eröffnung vom Café NÖÖ 1990 im Reformhaus. Aus Bolldorfs Atelier wurde so nach und nach das Atelier Bolldorf, und aus Peter Brocks Wohnung wurde die erste Kneipe mit Billard. Und diese Läden wurden förmlich gestürmt. Endlich gab es Kneipen, wie wir sie liebten.

So wie den meisten von uns ging es wohl auch Klaus Mitschke. Inspiriert von dieser Aufbruchstimmung dachte er darüber nach, wie man auch im Objekt 5 etwas ins Leben rufen könnte, was an alte Zeiten anknüpft und neue Möglichkeiten bietet. Klaus hatte inzwischen das Grundstück, in dem er bis dato zur Miete lebte, von der Stadt Halle gekauft. Eine genaue Vorstellung von dem, was passieren sollte, hatte man zwar noch nicht, aber es wurden Ideen gesammelt. Uns trieb ja keiner, wir hatten alle Zeit der Welt.

1990

Eine kleine Formalität, der Eintrag ins Grundbuch der Stadt Halle, schien nur noch Formsache zu sein, und dann würde es schon irgendwie vorwärts gehen.
Im Januar 1991 verunglückte Klaus bei einem Autounfall tödlich.

Eine kleine Runde von Klaus Mitschkes Freunden traf sich später jeden Montag Abend im Objekt. Moritz Götze, Gerd Westermann, Matthias (Watschel) Waschitschka, Thomas Wittenbecher und Jan Möser saßen zusammen und überlegten, wie es weitergehen könnte im Objekt 5. Später wurden wir zu diesen Montagsgesprächen mit eingeladen. Wir, das sind Andre Grünewald, Stefan (Lui) Ludwig und Markus Keitel.

Irgendwann entstand die Idee, einen Kulturverein Objekt 5 zu gründen. Die Vorstellungen gingen dahin, daß dieser Verein auf dem Grundstück Seebener Straße 5 die Voraussetzungen schafft, um Veranstaltungen wie Livemusik, Theater, Kino, Kabarett u.s.w. verbunden mit einer „Gastronomischen Versorgung“ durchführen zu können. Eigentlich sollte das Objekt 5 nur an Wochenenden eine Alternative zum restlichen Angebot in Halle sein, und diese Organisation bzw. die nötigen Umbauten sollten nebenbei, d. h. neben unseren festen Jobs durchgezogen werden.

Am 15. April. 1991 wurde der Kulturverein Objekt 5 gegründet.
Am 1. Mai 1991 öffnete das Objekt zum ersten Mal nach der Umbauzeit die Pforten. Der kleine Hinterhof hatte sich ganz schön gemausert. Eine fest installierte Bühne, Licht- und Tonanlagen, einen gepflasterten Hof, eine Überdachung aus Planen, alte Kneipenmöbel und ein Ausschank mit einer kleinen Küche.

Mit dem Film „Heißer Sommer“, einem Konzert der „Rothen Granaten“ und einer ziemlich guten Stimmung bei allen Beteiligten feierten wir die Eröffnung des alten - neuen Objekt 5.

So, wie es geplant war, ging es dann weiter. Nur mit dem Unterschied, daß das Objekt nicht nur an den Wochenenden, sondern täglich ab 20 Uhr geöffnet hatte. Mit den Eltern von Klaus gab es einen Miet- bzw. Nutzungsvertrag mit dem Verein.

Küche 1994

Lui, Andre und ich hatten plötzlich zwei Jobs. Neben unserer Tätigkeit im neuen theater waren wir auch die Betreiber einer Kneipe und Veranstalter. Dieser Zustand war nicht lange zu ertragen. Und so kündigten wir nacheinander unsere Verträge am Theater, um uns voll aufs Objekt zu stürzen.
Die Programme wurden monatlich geplant. Regelmäßige Veranstaltungsreihen entstanden. Livekonzerte, Theateraufführungen, Kabarett und Kino. Es war eigentlich immer etwas los. Mit dem Tango-Totale gab es bald auch eine der begehrtesten Tanznächte im Objekt.

Die ersten Herbststürme zerstörten 1991 unsere improvisierte Hofüberdachung. Für ein paar Tage war der Betrieb in der Seebener Straße 5 lahmgelegt. Dann wurde ein relativ großes Armeezelt im Hof aufgestellt. Mit zwei Dauerbrandöfen und einer riesigen Menge Glühwein versuchten wir, den strengen Temperaturen zu begegnen, und eine Weile ging das auch. Selbst in diesem Zelt spielten Bands. Die „Dostoyevskis“ gaben in diesem Ambiente ihr erstes Konzert in Halle. Aber auf Dauer war das kein Zustand. Das nächste Provisorium mußte her. Aus Einwegpaletten und Gerüstmaterial wurde eine neue Hofüberdachung gebaut. Mit einem Heißluftgebläse konnte der Hof jetzt beheizt werden. So kamen wir über den ersten Winter.

Anfang ’92 tauchten neue Schwierigkeiten auf. Aus München kam ein Rückführungsanspruch für das Grundstück Seebener Straße 5. Familie Mitschke und uns war es bis zu diesem Zeitpunkt nicht gelungen, den Kaufvertrag von Klaus aus der „Modrow-Zeit“ in eine Grundbucheintragung umzusetzen. Die Zukunft vom Objekt 5 war plötzlich in Frage gestellt.
Es mußte so viel getan werden im Objekt. Der bauliche Zustand verschlechterte sich zunehmend. Wir stellten bei der Stadt einen Antrag auf „Investitionsvorrang“. In diesem Antrag formulierten wir unsere Pläne baulich und inhaltlich. Ein schönes Konzept wurde vorgestellt, aber leider wollte es keine Bank finanzieren. Ein Finanzierungsnachweis wäre aber nötig gewesen, um unseren Antrag positiv zu bearbeiten. Es war eine Teufelskreis.
Notwendige Arbeiten an den Häusern führten wir trotzdem durch. Das kleine gelbe Fischerhaus bekam ein neues Dach, eine neue Fassade, Fachwerkteile wurden ausgewechselt, und der Giebel der „Ruine“ wurde saniert. Inhaltlich ging es weiter wie bisher. Mit Armen und Beinen wehrten wir uns gegen den Gedanken, jemand könnte uns unser Objekt wegnehmen.

Zum zweiten Objektgeburtstag kam sogar noch eine Neuerung hinzu. Am 1. Mai 1993 eröffnete der Biergarten.
Inzwischen wurde uns mitgeteilt, daß die Rückübertragungsansprüche aus München zu Recht bestünden und diesem Antrag stattgegeben würde. Das bedeutete im Klartext: die Eltern von Klaus würden die 1990 schon gezahlte Kaufsumme zurückbekommen, und wir hätten nur die Chance, uns mit den Münchnern zu einigen oder das Objekt zu räumen. Rechtsanwälte aus München und Halle wurden jeweils beauftragt, eine Lösung herbeizuführen. Allerdings ohne nennenswerten Erfolg.
Ungefähr zur selben Zeit begannen uns die Ordnungsämter der Stadt aufs Korn zu nehmen. Der nach wie vor improvisierte Zustand des Objekts entsprach in keinster Form mehr den geforderten Standards. Veränderungen wurden eingefordert, oder man würde das Objekt schließen. Keiner wußte, ob wir morgen noch im O5 sein könnten, denn wir hatten keine Ahnung, wie die Sache mit dem Alteigentümer ausgehen würde, notwendige Investitionen, wie von amtswegen gefordert, waren ohne Kredite nicht möglich, und bei einer derart ungeklärten Rechtslage kreditierte keine Bank der Welt - eben ein Teufelskreis.
In dieser ausweglosen Situation entschieden wir uns dafür, einen Brief direkt an den Alteigentümer in München zu schicken. In diesem Brief schilderten wir unsere Situation, was bis dato so gelaufen und geschehen war, den momentanen Zustand zwischen uns und den Ämtern dieser Stadt und was wir für die Zukunft geplant hatten. Gleichzeitig baten wir um eine Gespräch. Obwohl wir nicht viel Hoffnung hatten, kam wenig später ein sehr höflicher Antwortbrief. Man war durchaus bereit, mit uns zu reden bzw. sich in Halle zu treffen. Mehrere Gespräche folgten und führten dazu, daß wir unser Objekt 5 im Herbst 1996, natürlich nur mit Unterstützung guter Freunde, kaufen konnten.

Die Eigentumsfrage war somit endlich geklärt, und es gab wieder Chancen, aus dem Objekt das zu machen, was wir uns vor Jahren schon erträumten. Nun sollte sich auch am improvisierten Zustand des Objektes etwas ändern. Die Auflagen der Stadt mußten erfüllt werden. Außerdem waren wir mit gewissen Unzulänglichkeiten technischer und baulicher Art auch nicht mehr so ganz glücklich. So ging es an die Planung des nächsten Umbaus.
Uns wurde sehr schnell klar, daß diese Baumaßnahmen kein Kinderspiel werden. Zum einen aus finanzieller Sicht, aber wir hatten auch große Bedenken, das Ambiente zu zerstören und kein neues vergleichbares schaffen zu können. Der Kulturverein beantragte Fördermittel bei Land und Kommune. Die Kneipe nahm Kredite zur Finanzierung des Umbaus auf. Mit Erleichterung nahmen wir zur Kenntnis, daß das Regierungspräsidium Halle unser eingereichtes Konzept für förderwürdig hielt. Ohne diese Unterstützung wären die jüngsten Baumaßnahmen, trotz großer Eigenleistungen und hohen Eigenmitteln, nicht denkbar gewesen. Ein gutes Team, bestehend aus Architekt, Generalunternehmer, Verein und Kneipe und vielen Freunden und Bekannten, machte aus den Plänen auf dem Papier eine Realität im Objekt 5, die sich, wie ich finde, sehen lassen kann. Und so freuen wir uns auf die nächste Eröffnung des alten - neuen Objekts zu unserem 7. Geburtstag, am 1. Mai 1998.

Es ist nicht ganz einfach, einen so großen Zeitraum zu beschreiben oder zu begreifen. Ich denke, es war die Zeit der großen und kleinen Pleiten, aber vor allem der kleinen und großen Erfolge. So viele schöne Dinge sind passiert, von denen wir am 1. Mai 1991 nicht zu träumen gewagt hätten. Einige Highlights fallen mir ein, wie z. B. Konzerte von Fallow Travellers, Towns van Zaandt, Victoria Williams, The Schramms, Jackie Leven, Dostoyevskis, M. Walking on the Water, Continental Drifters, The Silos, um nur einige zu nennen, Theateraufführungen, wie Koppelbergs „ Testament“, Tom Wolters „Dario Fo“, das Obdachlosentheater Hannover oder eigene Veranstaltungen, wie Weihnachtssingen, Cottenclub und Frühlingsfest. Desweiteren wären noch zu erwähnen Sabine v. Oettingens Modenschau, Christiane Rothes musikalische Abende oder Satire von Ingo Insterburg, Phillip Sonntag und Jürgen Scheller.

Der Überfall Rechtsradikaler auf des Objekt, bei dem der Schlagzeuger einer bei uns gastierenden Band schwer verletzt wurde, und die gewaltsam verhinderte Lesung Walter Mompers durch die sogenannte linke autonome Szene Halles gehören zu den wenigen traurigen Geschichten, an die ich mich erinnere. Bleibt die Erkenntnis, nur mit einem guten Team, mit einem guten Umfeld, guten Freunden, toleranten Nachbarn und vor allem einem guten treuen Publikum ist so etwas zu schaffen, wie die letzten sieben Jahre zeigen.

Dank dafür! Und auf die nächsten sieben Jahre!

 

M.K., April 1998